Editorial: 500Gramm - Nummer 3 - Februar 2011

 

In der Metzgerei ist der Andrang der Kunden enorm, trotzdem muß Fleischerlehrling K. zu allem und jedem seinen Senf dazugeben.
»Wie im Fleischerhandwerk, so im Leben, so in der Literatur«, sinniert er, während er sich die Hände an der blutverschmierten Schürze abwischt. »Jeder kriegt sein Fett ab! Und erst recht, wenn ein falscher Hase einen auf Rehrücken macht.« (siehe Hubert Katzmarz: Herkules oder Die Stufen des Aufstiegs) Jetzt kommt K. in Fahrt: »Wie man weiß, kann die Salami-Taktik des Schicksals einen Stück für Stück ins Verderben führen.« (siehe Andreas Fieberg: Wohnungsnot)
K. schüttelt den Kopf. »Ob da die Erkenntnis hilft: In der Not schmeckt die Wurst auch ohne Brot?« (siehe Hans-Wolfgurd Sikkeborg: Die Fahrt nach Lüttich)
»Was denn noch?« fragt ein Kunde vom Ende der Schlange.
K. dreht sich um und läßt den Blick über die Reihen der gut abgehangenen Fleischstücke gleiten. »Eins steht fest«, orakelt er, »Gammelfleisch hat keine Chance, und Rache ist Blutwurst.« (siehe Michael Blasius: Tauschgeschäft) »Fremdem Leben auf die Pelle rücken und sich bis auf die Knochen blamieren, ohne daß es einer mitbekommt, auch davon hört man.« (siehe Christian Thielscher: Die Papayas/Manchmal macht)
»Der Nächste bitte!« Eine Kundin mustert die Auslagen und meint: »Diese Sülze ist ein Gedicht, davon hätte ich gerne eine Portion.« (siehe Irmhild Oberthür: Fernsehabend mit B-Film, Ellen Lessing: Familienleben)
»Die Frage ist doch«, sagt K., während er das Gewünschte abpackt, »macht man sich zum Hanswurst, wenn man Lyrik skeptisch betrachtet, oder sollte man sich davon doch eine Scheibe abschneiden?« (siehe Marc-Ivo Schubert: Lyrische Cracker) »Wo ist unser Platz in der Welt, wo finden wir uns wieder, wenn wir nicht Fisch noch Fleisch sind?« (siehe Andreas Durban: Entzündet)
»Melancholie und Hoffnung lassen sich oft nicht trennen«, fährt K. fort. »Der Fachmann würde dazu sagen: durchwachsen.« (siehe Uli Kaup: Hardthöhe, Malteserkrankenhaus) Und er befindet: »Ein Pfundskerl ist jemand, der sich an bessere Zeiten erinnert und frisch von der Leber weg erzählt.« (wie Peter Linden in: bericht aus der zuckerzeit)
Er wuchtet ein Filet auf die Waage und hebt fragend den Blick: »Darf’s ein bißchen mehr sein?« (Ulrich Bergmann legt nach: Pronominale Neurosen)
»Junger Mann!« ruft Stammkundin M., die es nicht mehr aushält. »Sie sollten nicht in einer Metzgerei arbeiten, sondern bei der schreibenden Zunft. Gründen Sie ein Literaturmagazin!«
Statt einer Antwort schiebt ihr K. ein Päckchen über die Theke. »Mett von beidem«, sagt er. »Lyrik und Prosa, Gehacktes halb und halb, genau 500 Gramm!« Die Kundin bedankt sich. »Mit diesem Pfund sollten Sie wuchern!«
»Wie Sie wünschen«, schmunzelt K. »Und: Bleiben Sie uns gewogen!«

 

Die Redaktion
Bonn, Februar 2011